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06.10.2011 00:00 Alter: 13 yrs

Fortbildung zur Sicherung des Existenzminimums in Deutschland, in Frankreich und in der Schweiz


Über 40 Personen haben sich am 6. Oktober in Kehl eingefunden, um die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums in Frankreich, in Deutschland und in der Schweiz besser zu verstehen, sich über praktische Erfahrungen auszutauschen und Antworten auf Fragen zu finden, die sich täglich stellen. Wirtschaftskrise, Geringverdiener, soziale Mindestsicherung, Existenzminimum, Haushaltskürzungen, Arbeitslosigkeit,...viele Wörter, die seit geraumer Zeit die Schlagzeilen der nationalen Presse anführen. Manchmal ist es schwierig, sich darin zurechtzufinden, bestimmte Situationen abzuwägen oder über neue Lösungsmöglichkeiten nachzudenken…und wie steht es bei alledem um den grenzüberschreitenden Kontext? An diesem Tag, der von der Infobest Kehl-Strasbourg und dem Euro-Institut organisiert wurde, hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, genau diese Fragen beantwortet zu bekommen, indem sie sich mit den Mitteln zur Sicherung des Existenzminimums in Frankreich, Deutschland und der Schweiz auseinandersetzten. Dabei wurden Fallbeispiele analysiert, die man in unserem Grenzgebiet am Oberrhein antreffen kann. Bevor die Regelungen in den jeweiligen Ländern im Detail erläutert wurden, war es interessant, sich einige Grundlagen in Erinnerung zu rufen und Abstand vom Arbeitsalltag zu gewinnen, der manchmal durch Zeitmangel begrenzt ist. Herr Zoungrana, Dozent an der Universität Strasbourg, konnte so auf das „Leiden des Wohlfahrtsstaates, das seit 2008 mit Fieber andauert“ eingehen. Er hat ebenfalls die Fragen zur Diskussion des Tages gestellt: „Was soll mit der Personengruppe der Armen geschehen? Welches Sozialgesetz ist anzuwenden? Müssen neue Modelle entwickelt werden, um den Problemen der betroffenen Personen besser gerecht zu werden? Welche Hilfestellungen können angeboten, damit das soziale Netz ethisch korrekt, gesellschaftlich annehmbar/anerkannt und wirtschaftlich tragfähig ist?“ Die Referenten Herr Bastian (Conseil Général du Bas-Rhin), Frau Ergün und Herr Morgenthaler (JobCenter Rastatt) und Frau Hänzi (Kanton Solothurn) konnten innerhalb dieser Diskussionsrunde die Regelungen vorstellen, die in ihrem jeweiligen Land gelten. Dabei hat sich herausgestellt, dass wenn die Mittel zur Sicherung des Existenzminimums in den drei Ländern in einigen Punkten auch Ähnlichkeiten aufweisen, sie tatsächlich aus sehr verschiedenen Philosophien und Kulturen heraus entstanden sind und sich in ihrer Anwendung erheblich voneinander unterscheiden. Auch wenn die drei Systeme z. B. die Grundvorstellungen von Arbeitsanreizen, Rechten und Pflichten, Sanktionen und Verantwortlichkeit der Bezugsberechtigten gemeinsam haben, so ist das Maß der jeweiligen Auslegung und somit die konkrete Anwendung sehr unterschiedlich! Einer der wichtigsten Unterschiede ist vielleicht im Vokabular zu finden: In der Schweiz und in Deutschland sprechen wir von „Kunden“ wohingegen wir in Frankreich von „Leistungsempfängern“ sprechen. Andere Unterschiede konnten in den Bedingungen für die Gewährung der Existenzsicherung festgestellt werden: In Frankreich und in Deutschland ist es unerlässlich, eine Akte zu erstellen und gewisse notwendige Angaben zu machen (Einkommensverhältnisse usw.). In der Schweiz hingegen „genügt“ es, sich in einer Notlage zu befinden, aus der man alleine nicht heraus kommen kann. Die Eigenverantwortlichkeit bei der Wiedereingliederung des Leistungsempfängers ist in allen drei Ländern sehr wichtig, doch in der Schweiz hat diese eine ganz besondere Bedeutung: Einerseits ist der Kunde gezwungen, alle wertvollen Besitztümer zu verkaufen (sein Haus, wenn er eine günstigere Wohnmöglichkeit findet, sein Auto, seinen Schmuck….) und andererseits ist er dazu verpflichtet, die empfangenen Hilfeleistungen zurückzuzahlen, sobald sich seine finanzielle Lage stabilisiert hat. Allerdings sollten wir dabei die unterschiedliche Wirtschaftslage und die damit einhergehende Arbeitslosenquote in den drei Ländern berücksichtigen. Auf deutscher und französischer Seite bewegen sich die Arbeitslosenquote, die Armutsrate und die Anzahl der Geringverdiener ungefähr in derselben Größenordnung. Mit einer Arbeitslosenquote von 3 – 3,5 % zeigt sich in der Schweiz eine völlig andere Situation – auch ist das Phänomen der Geringverdiener dort quasi inexistent. Die unterschiedlichen Situationen sind auch auf die Jugendlichen zurückzuführen. In Frankreich werden die Regelungen zwar gerade überprüft, doch bleibt es für einen jungen Menschen unter 25 Jahren fast unmöglich, RSA (soziale Mindestsicherung) zu erhalten. In Deutschland kann Alg II bereits ab dem 15. Lebensjahr bezogen werden, auch wenn alles dafür getan wird, dass die Jugendlichen - zumindest bis zu ihrer Volljährigkeit - in ihrem Elternhaus wohnen bleiben. In der Schweiz kann ein Jugendlicher Sozialhilfe empfangen, wenn er bedürftig ist. Doch da die Arbeitslosenquote bei den Jugendlichen relativ gering ist, kommt das eher selten vor. Viele andere Fragen und Fälle konnten im Laufe dieses Tages besprochen werden. Außerdem gab er den Teilnehmern die Möglichkeit, sich zu informieren, Kontakte zu knüpfen, Lösungen für einige Probleme zu finden, und auf bestimmte „unlösbare“ Schwierigkeiten hinzuweisen, die durch die Expertengruppe „Grenzgänger“ an die Oberrheinkonferenz und damit auf staatliche Ebene weitergeleitet werden können.