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16.09.2011 00:00 Alter: 13 yrs

Europäische Tagung zum Thema "Partizipative Verwaltung auf kommunaler Ebene"


Partizipative Verwaltung auf kommunaler Ebene: Entwicklungstendenzen im europäischen Rahmen - Bürgerbeteiligung und lokale Demokratie - Handlungsansätze, Auswirkungen und Perspektiven im europäischen Vergleich - Organisiert in Zusammenarbeit mit der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, der Association Europa und dem Europarat Bürgerbeteiligung und lokale Demokratie im europäischen Vergleich Von Margot Bonnafous

Seit das Bahnprojekt Stuttgart 21 und der Ausbau der Rheintalbahn beinahe täglich in den Medien erwähnt werden und für reichlich Diskussionsstoff sorgen, ist auch der Themenbereich Bürgerbeteiligung und lokale Demokratie stärker in den Fokus des allgemeinen Interesses gerückt. Die Beteiligung der Bürger am Verwaltungshandeln wird vielerorts praktiziert, wobei sehr unterschiedliche Formen, aber auch unterschiedliche Erwartungen und Prioritäten zu beobachten sind. Erweitert man den Blickwinkel, um die Erfahrungen und Handlungsansätze anderer Länder zu betrachten, wird das Spektrum der Beteiligungsformen und Zielsetzungen noch breiter.
Um die Voraussetzungen, Auswirkungen und Perspektiven von partizipativer Verwaltung auf europäischer Ebene zu untersuchen, organisierte das Kehler Euro-Institut am 15. und 16. September gemeinsam mit der Hochschule für öffentliche Verwaltung, dem europäischen Netzwerk für Verwaltung EUROPA und dem Europarat die europäische Tagung Partizipative Verwaltung auf kommunaler Ebene: Entwicklungstendenzen im europäischen Rahmen. Referentinnen und Referenten aus Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Spanien, England und Rumänien stellten unterschiedliche Beteiligungsmodelle vor und diskutierten mit den Tagungsteilnehmern über deren Herausforderungen und Potenziale, über mögliche Schwierigkeiten bei der Umsetzung, über Wunsch und Wirklichkeit.
Aktuelle Beispiele aus der Oberrheinregion wurden von der Offenburger Oberbürgermeisterin Edith Schreiner und von Robert Herrmann, Erster Stellvertreter des Oberbürgermeisters von Straßburg angeführt. Oberbürgermeisterin Schreiner führte aus, dass beim Stadtentwicklungsprozess der Offenburger Nordwest-Stadt in Zusammenarbeit mit den Bürgern 52 Projekte entstanden seien. Die Stärkung der Identifikation der Bürger mit ihrem Stadtteil durch die gemeinsame Arbeit ist, neben einer verstärkten Investitionstätigkeit der Wirtschaft im erneuerten Stadtteil, einer der positiven Effekte des Schulterschlusses von Stadt und Bürgern. Auch Robert Herrmann von der Stadt Straßburg hob die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Bürgern hervor, die in Straßburg insbesondere in den sogenannten Conseils de quartier, den Stadtteilräten, umgesetzt wird. Bei den weiteren Beispielen wurde deutlich, dass die Rolle des Bürgers, einerseits als Mitgestalter, z.B. im Rahmen des Bürgerschaftlichen Engagements, und andererseits als Auftraggeber bei Entscheidungsprozessen, nicht in allen Ländern die gleiche ist. Wie am Beispiel der Stadt Nürtingen sehr anschaulich dargestellt wurde, bringen sich die Bürger aktiv in das Stadtgeschehen ein, z.B. als Nachtwanderer, die an den Wochenenden den Kontakt zu Jugendlichen suchen, um mögliche Konflikte bereits im Vorfeld zu entschärfen. Zahlreiche Beteiligungsforen geben den Nürtingern die Möglichkeit, mitzureden; der Bürgertreff, der das Rathaus zu einer lebendigen Begegnungsstätte macht, bietet dafür ein Forum. In Nürtingen wird das Konzept der Bürgerkommune als „eine neue soziale Kultur des Miteinander von Bürger, Politik und Verwaltung“ umgesetzt und erlebt. Das niederländische Beispiel der Gemeinde Hellendoorn, in der mit der Initiative „Community of Practice“ unter anderem Jugendliche im „Repaircafé“ Senioren bei Computerproblemen unterstützen, steht ebenfalls für den Ansatz, sowohl die Bürgerbeteiligung an Planungsprozessen als auch das Bürgerschaftliche Engagement als Ganzes zu betrachten. In anderen europäischen Ländern findet offensichtlich besonders die Beteiligung der Bürger an Planungsprozessen Erwähnung, wenn von partizipativer Verwaltung und Bürgerbeteiligung die Rede ist.
Ist nun die Welt der lokalen Demokratie eine Idylle, in der offen und vertrauensvoll kooperiert und stets der lebendige Dialog gepflegt wird? Im Lauf der Tagung waren durchaus auch kritische Zwischentöne zu hören: längst nicht alle Beteiligungsinitiativen sind von Erfolg gekrönt. So ist es oft schwierig, die Wähler zu motivieren, sich an einem Bürgerentscheid zu beteiligen, wie ein Beispiel aus Barcelona zeigte. Bei der Neugestaltung der Avenida Diagonal, einer der Hauptverkehrsadern der katalonischen Hauptstadt, wurden die Bürger um ihre Meinung zu drei Möglichkeiten gefragt. Nur ca. 12% der Wahlberechtigten beteiligten sich und entschieden sich schließlich für die dritte der angebotenen Optionen, nämlich alles beim Alten zu lassen. Ist diese Verweigerung als ein „Abstrafen“ der Politik zu verstehen? Oder hätte die Frage anders gestellt werden sollen? Dieses Beispiel zeigt, dass die Anwendung der Mittel der direkten Demokratie neben Chancen auch Herausforderungen birgt. Die Einbindung aller gesellschaftlichen Gruppen in eine funktionierende lokale Demokratie scheint auch in anderen Zusammenhängen schwierig zu sein. Ein Referent erklärte, Menschen, deren Lebenssituation, z.B. durch Arbeitslosigkeit, schwierig sei, hätten schlicht andere Prioritäten in ihrem Alltag. Schließlich sind Beteiligungsinitiativen auch mit Kosten verbunden: dies gilt insbesondere für Bürgerbefragungen, ist aber auch beispielsweise bei Koordinierungsaufgaben in Bürgerbüros u. ä. zu berücksichtigen.
Diese Potenziale und Herausforderungen wurden bei der Kehler Tagung unter unterschiedlichen Blickwinkeln angesprochen. Die Beiträge von Wissenschaftlern und Praktikern verliehen dem Austausch zwischen Referierenden und Teilnehmenden eine umfassende Basis, so dass die Frage nach den Perspektiven der Partizipation lebhaft diskutiert werden konnte.
Interessant, besonders für die anwesenden Vertreter von Kommunen, war der bei der Tagung vorgestellte Handlungsansatz des Europarats, die „Strategie für Innovation und gute Regierungsführung auf lokaler Ebene“. Olivier Terrien, der anwesende Vertreter des Europarats, erläuterte, wie seine Institution Kommunen beim Bestreben nach mehr lokaler Demokratie praktisch und zielorientiert unterstützen kann. Diese Initiative des Europarats richtet sich an alle Gemeinden und gibt ihnen die Möglichkeit, durch Erfahrungsaustausch mit anderen europäischen Kommunen und Beratung durch die Experten des Europarats die Beteiligung der Bürger am Verwaltungshandeln noch weiter zu stärken und zu verbessern. Interessierte Gemeinden können sich unter der E-Mail-Adresse Info.DDI@coe.int über die Initiative informieren.

Weitere Informationen: 
www.coe.int/localdemocracy